Tag der Entscheidung – Thüringens Weg aus der Regierungskrise
Genau einen Monat ist es nun her, dass sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der Höcke-AfD ins Amt des Ministerpräsidenten wählen ließ. Ein Monat, in dem Thüringen in einer der schwersten Regierungskrisen der Geschichte der Bundesrepublik steckte. Seit vergangenem Mittwoch ist Thüringen wieder in trockenen Tüchern.
Nach langen Diskussionen zwischen den Fraktionen von Rot-Rot-Grün, später auch mit CDU, einigte man sich auf den alten, neuen Kandidaten Bodo Ramelow. In Verbindung mit dem sogenannten Stabilitätsmechanismus sollten endlich wieder Verhältnisse geschaffen werden, die diesem Land würdig sind. Zu später Stunde verkündeten alle vier Parteien am 21. Februar: keine Zusammenarbeit mit der AfD, Ramelow wird Kemmerichs Nachfolger, wenn auch nur für den Übergang, und angekündigte Neuwahlen finden am 25. April 2021 statt. Die Koalition bildet dabei das alte Dreierbündnis von Rot-Rot-Grün, CDU wird konstruktive Opposition. Der erste Schritt aus der Regierungskrise, die erste Einigung, die die Christdemokrat*innen nicht überstürzt ablehnten.
Genau 4 Wochen nach dem Dammbruch von Erfurt, am 4. März, versammelten sich die Abgeordneten des Thüringer Landtags schließlich erneut. Die planmäßige Parlamentssitzung wurde kurzfristig in den zweiten Anlauf der Ministerpräsidentenwahl umgewandelt. Es ist der Tag der Entscheidung. Ein Tag, der Thüringen endlich wieder aus den negativen Schlagzeilen der bundesweiten Medien bringen sollte. Demokratinnen und Demokraten sollten wieder eine Regierung bilden: Ohne die Abhängigkeit von Rechtspopulist*innen und Faschist*innen. Wie angekündigt schlugen die Fraktionen der SPD, Linke und Grünen ihren Kandidaten, den ehemaligen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, erneut in ihrem Wahlvorschlag vor. Ihm gegenüber stand der Faschist Björn Höcke, nominiert von seiner Partei der AfD. Der Linke gegen den Rechtsaußen, der Kampf zweier Extreme – wobei mensch Bodo Ramelow wohl eher nicht als typisch Linken bezeichnen kann, er ist doch mehr Sozialdemokrat mit dunkelroten Anstrich.
Es herrschte eine gelassene Stimmung im Plenarsaal, alle mit einer Mimik der Sicherheit, sicher dass Ramelows Wahl dieses Mal gelingen wird. Dabei hatte Ramelow am Morgen angekündigt, sich nicht mit Stimmen der CDU, also ohne eine sichere Mehrheit ins Amt des Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Das mulmige Gefühl des 5. Februars kam wieder in mir hoch. Mir war nicht klar, was die AfD an diesem Tag wieder einmal plante: wollten sie Ramelow einfach so mitwählen, um die Situation, in die sie Kemmerich brachten, zu wiederholen?
Doch es lief alles wie geplant. Nach zwei Wahlgängen, bei welchen keiner der Kandidaten die notwendige absolute Mehrheit erhielt (das heißt mehr als 50 Prozent der Stimmen), setzte sich der Vorschlag r2g’s durch. (Die FDP übrigens, die immerhin noch die Regierung stellte, blieb bei der Wahl einfach sitzen – die Abgeordneten gaben also nicht einmal eine Stimme ab. Ob dieses Mittel nun demokratisch oder schlichtweg feige ist, sollte jeder für sich beantworten).
Im 3. Wahlgang erhielt Ramelow deutlich mehr „Ja“ als „Nein“ Stimmen, wodurch Thüringen wieder ein handlungsfähiger Ministerpräsidenten zur Verfügung stand und das Land die Regierungskrise hinter sich lassen konnte. Die Regierungskrise, die Antidemokrat*innen auslösten und jene, die nun von Demokrat*innen beseitigt wurde. Zum Ausdruck kam dies noch einmal zum Zeitpunkt der Gratulation des neuen Landesvaters: Einen Handschlag mit Björn Höcke gab es nicht. Ein Vorgang, der sogar mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, als der vor Kemmerichs Füße geworfene Blumenstrauß vier Wochen zuvor. Erst wenn er „deutlich vernehmen kann, dass die Demokratie im Vordergrund steht“ so Ramelow, werde er auch dem AfD-Landesvorsitzenden die Hand schütteln.
Der Tag neigte sich dem Ende, Minister*innen wurden ernannt und vereidigt. Den Beteiligten, ob direkt oder indirekt, fiel ein großer Stein vom Herzen. Denn es ging um alles: um unsere Demokratie.
Franz Ellenberger
FSJ-Politik