Jung und unreif: What?! – Wahlrecht ab 16

Jung und unreif: What?! – Wahlrecht ab 16

25 Aug 2020

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
So steht es in Artikel 20 Abs. 2 Grundgesetz. Vom Volke, also den rund 83 Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland. Sie wählen und entscheiden über die Richtung und Zukunft eines der bewundernswertesten europäischen Staaten?! NEIN! Denn entscheiden tun nur die sogenannten Erwachsenen, keine Menschen ohne deutschen Pass, aber auch keine viel zu jungen unreifen Kinder und Jugendlichen. Auch das ist im Grundgesetz, der Verfassung der BRD verankert.
„Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat […]“ (Artikel 38 Abs. 2 Grundgesetz). Doch ergibt das wirklich einen Sinn, widerspricht dies nicht den Grundsätzen der Demokratie? Und wieso ist das Wahlalter überhaupt ausgerechnet auf das Jahr 18 festgesetzt?

Der Ursprung des Ganzen findet sich im frühen Mittelalter wieder. Damals waren diejenigen volljährig, die eine Rüstung tragen und damit in den Krieg ziehen konnten: Männer ab circa 21. In der 1793 ausgerufenen „Mainzer Republik“, in Baden 1818 oder zur Zeit des norddeutschen Bundes, ist die Volljährigkeit sowie das Wahlalter sogar auf 25 Jahre, also deutlich über dem heute etablierten 18 Jahren, festgesetzt. Mit dem Beschluss des Eisenacher Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahr 1863 beginnt allerdings ein Kampf, der bis heute andauert. Sie fordern ein Wahlalter ab 20 Jahren, welches über 50 Jahre später, gemeinsam mit dem Frauenwahlrecht in die Weimarer Verfassung aufgenommen wird. Mit dem Ende des 3. Reiches, in dem Wahlen gewiss keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, schrieben die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein aktives Wahlalter von 21 Jahren in die Verfassung. 1970 gelang es schließlich Willy Brandt und seiner sozial-liberalen Koalition, den Beschluss des Wahlalters ab 18 Jahren herbeizuführen. An genau diesem Punkt steht Deutschland heute noch immer. Zwar haben einige Bundesländer bereits vorgelegt und wie manch Mitgliedstaat der europäischen Union das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, doch bundesweit ist dies längst nicht Konsens. Jahr für Jahr sträuben sich Politiker*innen einer Herabsetzung zuzustimmen.

Doch wo liegt das Problem? Argumente, wie die Unreife von Jugendlichen oder die angeblich leichte Manipulation junger Menschen durch Familie und Freunde, können doch gewiss nicht die Begründung sein, zumal zahlreiche dieser „Behauptungen“ mit Hilfe weniger Gegenargumente außer Kraft gesetzt werden können. Mir persönlich fallen 1000 Gründe ein, 16- und 17-Jährigen oder sogar Jüngeren das Wahlrecht zu erteilen.

Argumentiert wird bei dieser Thematik immer wieder mit Verantwortungslosigkeit. Doch bereits mit unter 18 Jahren beginnen für viele die Ausbildungen sowie Freiwilligendienste. Azubis zahlen dabei Steuern wie alle anderen Berufstätigen, dürfen durch das hohe Wahlrechtsalter jedoch keineswegs entscheiden, was mit diesen Steuergeldern passiert. Die Bundeswehr darf unter 18 Jährige werben sowie rekrutieren. Dafür steht sie Jahr für Jahr auf der Gamescom, eine Computerspielmesse, auf der sich großteiles junge Menschen, also auch Minderjährige aufhalten. Jedes Jahr verpflichten sich 1534 minderjährige Personen als Soldaten, nach der sogenannten Probezeit, sind es sogar noch über 500. Ist Jede*r unter ihnen verantwortungslos und unreif?

Ein weiteres Argument ist der Führerschein. Bereits mit 15 Jahren darf man in einigen Bundesländern, in den übrigen mit 16 einen Mopedführerschein machen, mit 17 Auto fahren. Damit nimmt man, wie ich finde, eine enorm hohe Verantwortung im Straßenverkehr auf sich. Ab 16 Jahren ist es Jugendlichen gestattet, Alkohol in Form von Bier und Wein zu konsumieren. Eine Droge, die ein sehr hohes Selbst- und Fremdschädigungspotential hat. Dennoch werden ihnen diese Verantwortung und ein bewusster Umgang zugetraut.

Egal ob Testament schreiben, Organe spenden, Parteien gründen, sich die Religion frei wählen und strafmündig sein: all das sind und dürfen Personen bereits unter 18 Jahren. Aber hey, sie sind ja nicht so wichtig, unreif und politisch rein gar nicht interessiert.

Doch was genau heißt es, politisch interessiert zu sein. Die meisten, wenn man die Bevölkerung betrachtet, beschäftigen sich kurz vor den Wahlen mit den Parteien und deren Positionen – von blühendem Politikinteresse keine Spur. Und das auch nur, weil sie eine Partei davon wählen können! Junge Menschen tun dies natürlich nicht, weil sie keinen Mehrwert darin sehen. Völlig logisch, denn wählen dürfen sie keine Partei. Würde man somit Jugendlichen früher die Möglichkeit geben, wählen zu gehen, so hätten sie einen Grund, sich früher eine elternunabhängige Meinung zu bilden.

Wie ich finde, ist jedoch bei diesem Thema das schwerwiegendste Argument, dass momentan einfach so über sie entschieden wird. Dabei müssen Kinder und Jugendliche deutlich länger mit möglichen Fehlentscheidungen leben, als Ältere. Junge Menschen haben so auch keine wirkliche Lobby. Könnten sie allerdings früher wählen, würde das ihnen mehr Gehör in der Politik verschaffen.

Das Argument, Jugendliche seien anfällig für Populismus und Extremismus mag vielleicht stimmen, jedoch nicht mehr und nicht weniger als bei der Betrachtung volljähriger Menschen. Auch eine Beeinflussung über die neuen Medien ist kein reines Jugendproblem, da auch viele ältere Soziale Medien als Hauptinformationsquelle nutzen.

Lösen könnte man einige dieser Probleme, die für viele der Grund des Belassens eines Wahlalters ab 18 darstellt, durch mehr Bildung. Sozialkundeunterricht sollte es ab der ersten Klasse, spätestens ab der fünften, geben. So wird schon früh ein soziales und politisches Verständnis ausgebildet. Gesellschaftliche und demokratische Werte können besser vermittelt, eine eigenständige Meinungsbildung früher ermöglicht werden. Die Stärkung der Medienkompetenz verhindert, später ungefiltert Meinungen aus dem Netz aufzunehmen. Auch die Eltern würden profitieren, wenn die Kinder ihr Wissen aus dem Unterricht weitertragen.

Statt dem Wahlrecht ab 16 Jahren gibt es zudem noch weitere Vorschläge, den Bedürfnissen und Meinungen junger Menschen mehr Gewicht zu verleihen. Zum Beispiel sieht das sogenannte Familienwahlrecht vor, dass Eltern die Stimmen ihrer Kinder übertragen bekommen. Dieses Modell ist jedoch nicht verfassungskonform, da somit manche Personen mehr Stimmen als andere hätten und somit der Grundsatz der gleichen Wahl gefährdet wäre.
Eine weitere Möglichkeit bildet das Wahlrecht ab null. Jeder Mensch hat ab der Geburt ein Wahlrecht, welches bis zum Alter von 16 oder 18 Jahren mit selbstständigem Eintrag ins Wählerregister aktiviert wird und die Person wählen gehen kann. Überschreitet man die Altersgrenze, ist der Mensch ganz automatisch registriert.

Die Diskussion um das Wahlalter ab 16 oder früher ist so vielseitig wie kaum eine andere. Die Problematik muss schnellstmöglich zu Ende diskutiert und mit gutem Kompromiss vom Parlament bestätigt werden!
Liebe (vorwiegend) weiße, alte Männer: gebt euch einem Ruck, stimmt dem nächsten Gesetzesentwurf zur Reform des Wahlalters zu und verleiht damit jungen Menschen eine Stimme. Es geht hier nicht um die Angst vor der misslingenden Wiederwahl. Es geht um die Zukunft!

Wahlrecht ab 16 – Jetzt!

Franz Ellenberger

Franz Ellenberger

FSJ-Politik