Die Energiewende sozial gestalten

Die SPD-Fraktion denkt die Energiewende aus der Perspektive der Beschäftigten. Denn sozialdemokratische Politik zielt darauf, dass alle Menschen ihr Leben gestalten und durch ihre Zusammenarbeit die Welt gemeinsam für alle lebenswert erhalten können. Die Fraktion sieht es als ihre besondere Aufgabe, bei den nötigen Veränderungen zum Klimaschutz die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben weiter zu ermöglichen und die Energiewende auch als Chance für die Verwirklichung einer gerechteren und menschlicheren Welt zu nutzen. Dazu braucht es einen handlungsfähigen Staat, der durch gezielte Investitionen und Entlastungen die Gesellschaft im Wandel unterstützt. Die ökologische Transformation der Gesellschaft kann gleichzeitig eine soziale sein.

Es gibt verschiedene Positionen aus denen heraus man sich dem Thema Umstieg auf Erneuerbare Energien widmen kann. Hier sind unsere:

Denny Möller, Sprecher für Umwelt, Naturschutz, Klima und Energie

Klimaneutrales Zusammenleben – bezahlbare Versorgungssicherheit und sozial gerechter Umstieg

Mit Blick auf die steigenden Energiekosten braucht ein sozial gestaffeltes Energiegeld, das nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird und Familien und Rentner:innen dabei unterstützt, gut durch den Herbst und Winter zu kommen. Der Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zum sozialen Klimageld ist dafür sehr gut geeignet. Und um ein Fiasko bei ausufernden Nachzahlungen zu verhindern und so besonders schwierige Einzelfälle abzufangen, braucht es einen Thüringer Härtefallfonds. Gleichzeitig müssen wir das Energiesystem sauberer, günstiger und unabhängiger machen.

Nach meiner Einschätzung braucht es einen Mix aus unterschiedlichen Erneuerbaren Energiequellen. Dabei sehe ich allerdings, dass die Potenziale der zu hebenden Energiemengen sehr unterschiedlich sind. Berechnungen zeigen, wenn man deutschlandweit die möglichen Erneuerbaren Energieträger bezogen auf verfügbarer Fläche und Energiepotential auf den benötigten Energiebedarf verteilt, so ist es möglich davon 9 Prozent durch Geothermie, 1 Prozent durch Wasserkraft, 45 Prozent durch Windkraft, 13,5 Prozent durch Biomasse und 31,5 Prozent durch Photovoltaik zu gewinnen.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, warum der Ausbau der Windkraft so zentral für die Energiewende ist. Technisch ist Windenergie eine kostengünstige und umweltverträgliche Technologie im Vergleich zu Öl, Gas oder Atomkraft. Mit den Windkraftanlagen können wir mit vergleichsweise geringen Flächenverbrauch (16x weniger als Solar) und wenigen Anlagen jede zweite Kilowattstunde Strom vor Ort gewinnen.

Damit dies gelingt, braucht es mehr direkte Beteiligungsmöglichkeiten an den Erneuerbaren Energien. Deshalb bin ich für die Einführung eines Windenergiebeteiligungsgesetzes, das Gemeinden im näheren Umfeld der Anlagen eine finanzielle Beteiligung an den Erlösen garantiert. Zudem braucht es einen konsequenteren Nutzungsrahmen für die Anwendung von günstigen Stromtarifen von dem Windrad vor Ort, dem sogenannten „Bürgerstromtarif“. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eine Chance, die Energiepreise zu senken und Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Thüringen zu haben, darin liegt ein gewaltiges Stück Zukunft.

Ein weiterer Punkt, die durch die Klimakrise und die hohen Energiepreise entstandene soziale Ungerechtigkeit zu überwinden ist aus meiner Sicht eine Abkehr von der Schuldenbremse. Denn nur durch staatliche Investition kann ein sozial gerechter Umstieg auf Erneuerbare und die bezahlbare Versorgungssicherheit gewährleistet werden.

Wir müssen uns fragen, was sind zielgerichtete Investitionen? Wie können wir bei der Transformation Arbeitsplätze erhalten und Beschäftigte stärken? Und bringt eine Abkehr von der Schuldenbremse wirklich etwas? Das habe ich meine Kolleg:innen gefragt.

Lutz Liebscher, Sprecher für Infrastruktur und Wohnen

Zielgerichtete Investitionen? Zum Beispiel sozialer Wohnungsbau – aber klimaneutral

Die Qualität von guten und leistbaren Wohnen und Mobilität sind essentiell für das Zusammenleben, beides sind Voraussetzungen für Teilhabe. Gleichzeitig sind Wohnen und Mobilität Bereiche mit hohem Effizienzpotential und deshalb sinnvoll bei der Frage nach zielgerichteten Investitionen.

Investitionen dürfen jedoch nicht auf den Rücken der Mietenden getätigt werden. In Thüringen sind hunderttausende Gebäude bereits saniert. Hunderttausende haben dies aber noch vor sich. Gerade die steigenden Kosten für die Wärme- und Stromversorgung werden zunehmend zu einer sozialen Frage. Daher braucht es neben der Förderung der energetischen Gebäudesanierung eine dauerhafte und solide Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus. Nur gemeinsam mit dem sozialen Wohnungsbau können die notwendigen Sanierungen und die Schaffung von Neubauten sozial verträglich umgesetzt werden. Der vermehrte Einsatz von erneuerbaren Energien zeigt, dass diese als Preisstabilisator wirken.

Für uns hat bei der Wärmeversorgung dabei die Nutzung von örtlichen Fern- und Nahwärmenetzen Priorität. Wir sehen auch den Vermietenden in der Pflicht, den energetischen Umbau aktiv zu unterstützen. Viele sind dieser Aufgabe auch bereits schon nachgekommen. Unser Ziel ist es, dass alle Kommunen eine steuernde Wärmeplanung umsetzen können, um jedes Gebäude perspektivisch klimaneutral zu beheizen. Daher braucht es eine verstärkte Unterstützung für die Umstellung und eine zielgerichtete Investition.

Die zweite Säule ist das Thema Mobilität. Hier brauchen wir Antworten auf die Frage: Wie komme ich alltagstauglich, günstig und umweltverträglich von A nach B. Hunderttausende Menschen in Thüringen pendeln täglich zwischen ihren Wohn- und Arbeitsort. Die steigenden Kosten für den Unterhalt des privaten PKWs sind eine ernstzunehmende Belastung gerade für Haushalte mit geringen Einkommen. In städtischer Lage bietet der Nahverkehr diese Alternativen für Viele. Hier brauchen wir mehr Busse, Straßenbahnen, Investitionen in die Infrastruktur und vor allem Fachkräfte, damit dieses Angebot noch attraktiver wird.

Im ländlich geprägten Thüringen sind auch in Zukunft noch viele auf die Nutzung des PKWs angewiesen. Hier wollen wir durch den Ausbau des Schienennetzes, der Kopplung von Verkehrsmittel, der Schaffung von gemeinsam genutzten Fahrzeugen und der Flexibilisierung des Nahverkehrsangebots, den Trend zum Zweitauto stoppen. Ich habe mich beispielsweise für den Ausbau der Mitte-Deutschland-Verbindung eingesetzt um Ostthüringen besser mit der Bahn erreichen zu können.

Diana Lehmann, Sprecherin für Arbeit und Wirtschaft

Wenn beim Arbeiten der Mensch im Vordergrund steht, wird Arbeiten fast automatisch klimafreundlicher

Wir wollen die Energiewende nach Kräften vorantreiben, aber dabei die Beschäftigten der betreffenden Branchen niemals aus den Augen verlieren. Wir müssen unsere Thüringer Wirtschaft bei der Transformation unterstützen. Deshalb setzen wir uns auch für eine Technologiebratungsstelle ein, wie sie unter anderem zuletzt in Rheinland-Pfalz an den Start gegangen ist. Für uns ist klar, dass der Wandel in Thüringen nur gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen, den Betriebsräten und den Gewerkschaften gelingen kann. Sie sind am besten mit den Produktionsprozessen vertraut und haben meist von innen heraus gute Ideen, wie klimaneutral gewirtschaftet werden kann. Schon jetzt arbeiten viele Betriebsräte an eigenständigen Lösungen, um Arbeitsabläufe klimaneutraler zu gestalten. Eine eigens dafür eingerichtete Stelle kann sie dabei unterstützen.

Darüber hinaus schafft die Investition in Zukunftstechnologien neue Arbeitsplätze. Zwischen den Jahren 2000 und 2019 hat sich die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien nahezu verdreifacht. Der Ausbau von Erneuerbaren hilft bei der Wertschöpfung und dem Wirtschaftswachstum der jeweiligen Region. Bis zu zwei Drittel der Arbeitseinkommen und der Unternehmensgewinne (Bruttowertschöpfung) bleiben in dem jeweiligen Bundesland, in dem Windräder errichtet, Ladesäulen für E-Autos aufgestellt oder effiziente Kraftwerke gebaut werden.

Als Arbeitsmarktpolitikerin stellt sich mir natürlich auch die Frage, wie die Kolleginnen und Kollegen von veränderten Arbeitsprozessen profitieren. Die Pandemie hat unser Verständnis und unseren Umgang mit Home-Office verändert. Ein Nebeneffekt des Arbeitens von zu Hause ist die Reduktion des Pendlerverkehrs. Einen ähnlichen Effekt kann Arbeitszeitverkürzung erzielen. Ich bin davon überzeugt: Wenn beim Arbeiten der Mensch im Vordergrund steht, wird Arbeiten fast automatisch klimafreundlicher.

Dorothea Marx, Sprecherin für Justiz

Schuldenbremse und Klimaschutz: Verfassungspolitische Optionen

Das Gelingen der Energiewende ist zentral für das soziale Zusammenleben und das Funktionieren der Demokratie. Ich möchte zwei Optionen vorstellen, die wir aus verfassungspolitischer Sicht beim Thema Klima- und Umweltschutz verfolgen sollten:

  1. Die „revolutionäre“ Option: Natur als Rechtsperson im Grundgesetz

Es gibt den Vorschlag des Rechtswissenschaftlers Jens Kersten von der LMU München, dessen wesentliche Kernthese lautet: Die Natur solle – rechtlich gesehen –  nicht bloß Objekt des Umweltschutzes sein, sondern selbst Träger subjektiver Rechte. Bisher soll der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere lediglich „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ erfolgen. Die ausdrückliche Erwähnung dieser verfassungsrechtlichen Selbstverständlichkeit (Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung usw.) schwäche den Charakter der Staatszielbestimmung. 

Für Kersten liegt die Lösung darin, der Natur subjektive Rechte mit Verfassungsrang mitsamt deren politischer Treibkraft zu verleihen. Kersten bringt zwei Vorschläge für Verfassungsänderungen ins Spiel. Die weniger radikale Formulierung für eine Grundgesetznorm würde lauten: „Die Rechte der Natur sind zu achten und zu schützen.“ Weiter geht er mit einer Variante, die an die Grundgesetz-Regelung zu inländischen juristischen Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) angelehnt ist: „Die Grundrechte gelten auch für die Natur, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Diese Formulierungsvorschläge zum Grundgesetz könnten auch in die Thüringer Verfassung Eingang finden

  • Die pragmatische Option: Konfliktauflösung zwischen Klima- und Finanzvorgaben des Grundgesetzes

Klimafreundliche Infrastrukturen erfordern kostenträchtige Investitionen. Kostenträchtige Investitionen kollidieren wiederum zwangsläufig mit der Schuldenbremse. Die geltende Schuldenbremse dürfte solche Investitionen massiv erschweren. Das Institut der Deutschen Wirtschaft bringt in einem Papier als eine Option zur Finanzierung von Transformationsaufgaben eine Lockerung der Schuldenbremse ins Spiel, mit der das Grundgesetz den weniger restriktiven Vorgaben des europäischen Fiskalpakts angenähert werden könnte. Den Ländern könnte etwa eine Neuverschuldung von 0,15 % des BIP erlaubt werden (zum Vergleich: Dem Bund sind derzeit nach Art. 115 Abs. 2 S. 2 GG 0,35 % gewährt).