Kein Schlussstrich! – 10 Jahre Aufklärung des „NSU“

Am 4. November 2011 fand die Polizei nach einem Banküberfall in Eisenach die später identifizierten Toten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem abgebrannten Wohnmobil. Nur kurze Zeit später steckte ihre Komplizin Beate Zschäpe ebenfalls das gemeinsame Versteck in Zwickau in Brand. Seitdem ließ sich der rechte Hintergrund einer bisher ungeklärten Mordserie nicht mehr übersehen. Die Aufdeckung der Terrorgruppe „NSU“ und ihrer Taten begann.

Es folgte eine engagierte und noch immer andauernde Aufklärungsarbeit in zahlreichen Parlamentsgremien und Untersuchungsausschüssen, davon zwei hier in Thüringen unter dem Vorsitz der Thüringer SPD-Landtagsabgeordneten Dorothea Marx. Zum 10. Jahrestag der Aufdeckung diskutierte sie mit Barbara John (Ombudsfrau für die Opfer des NSU) und Hajo Funke (Politikwissenschaft an der FU Berlin) über den aktuellen Stand der Aufklärung und ob das damalige Versprechen Angela Merkels, „alle Täter ihrer gerechten Strafe“ zuzuführen, denn auch eingehalten wurde.



Der Moderator Sebastian Haak lenkte den Fokus auf drei Aspekte: die parlamentarische Aufklärungsarbeit, die Perspektive der Opfer und deren Angehörigen sowie die Reformierung von Behörden.

Die parlamentarische Aufklärungsarbeit endete nach dem zweiten Thüringer Untersuchungsausschuss offiziell. Dennoch blieben viele Fragen offen. Marx merkte an, dass die zunächst breite Aufklärungsbereitschaft über die Parteigrenzen hinweg im zweiten Untersuchungsausschuss deutlich nachließ.

Auch sei es gar nicht so leicht gewesen, die entsprechenden Akten einzusehen. Denn der Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2017 erlaubte es auch der thüringischen Landesregierung, die Akteneinsicht einzuschränken. Die Persönlichkeitsrechte verdeckter Personen sollten so geschützt werden. Nun habe sich das Aufklärungsfenster geschlossen.

Direkter formulierte Hajo Funke seine Kritik an den Behörden. Viel zu spät haben diese im rechtsextremen Milieu nach den Tätern der Mordserie gesucht. Selbst wenn doch der Verdacht aufkam, so sei er in den zuständigen Gremien verharmlost worden. Generell seien Akte der Behinderung aber nur schwer nachprüfbar und noch schwerer zu beweisen.

Barbara John betonte die Perspektive der Opfer und deren Angehörigen. Denn diese, so John, hätten ganz andere Probleme. Zum Teil fühlten sie sich vorgeführt. Jede Veranstaltung löst aufs Neue enormen Stress wegen des erlittenen Traumas aus. Zum anderen werden sie 20 Jahre später erneut Opfer, diesmal der Bürokratie, die ihnen Hilfe wegen der erlittenen Schäden und daraus resultierender Langzeitfolgen erschwert und teilweise sogar verweigert.

Ärgerlich sei nachwievor auch, dass die Opfer erst im Zuge des Prozesses überhaupt erst eine Anerkennung als Opfer erfuhren. Denn zu oft, systematisch könnte man sagen, haben die Sicherheitsbehörden und auch die öffentliche Berichterstattung die Familien der Getöteten als Angehörige eines Täters gesehen und kriminalisiert.

Die parlamentarische Aufklärung blieb nicht ohne Folgen für die thüringischen Behörden. Das Innenministerium hat beispielsweise problematische Strukturen verändert, Führungsstellen neu besetzt und eine unabhängige Beschwerdestelle bei der Polizei eingerichtet. Zukünftig soll diese weiterentwickelt und bspw. komplett unabhängig gestaltet werden.

Die Diskutant:innen waren sich einig, dass sich die Sicherheitsbehörden sowohl von innen als durch äußere Anstöße verändern können. John betonte die Innenperspektive. Die Beamten müssten durch ihre Haltung „Zivilcourage im Amt“ beweisen und entsprechend handeln. Sie müssen gegen Rassismus und rechtsextreme Tendenzen vorgehen.

Hajo Funke gab zu Bedenken, dass es auch Aufgabe der Politik sei, wie in Thüringen von außen Einfluss zu nehmen. Denn nur von innen heraus sei dieser Umbruch nicht zu schaffen. Dorothea Marx pflichtete dem bei. Darüber hinaus dürfe der Kampf gegen Rechtsextremismus eben nicht allein den antifaschistischen Gruppen überlassen werden, sondern es braucht eine breite Unterstützung und eine engagierte Zivilgesellschaft.

Die Morde des NSU, die Fehler während der Ermittlung und die sich anschließende gesellschaftliche Aufarbeitung sind ein besonders krasses Beispiel für das bis heute unterschätzte Ausmaß rechtsextremer Bestrebungen und deren Gewaltpotentials in Deutschland. Dies ist die Lebenslüge der Republik, wie die Diskutant:innen es formulierten, dass „es solche Taten hier nicht gäbe“. Die vielen vermeintlichen Einzelfälle von deutschen Menschen und deutschen Behörden zeichnen trotz aller Anstrengungen ein doch trauriges Bild, wie tief Rassismus und rechtes Gedankengut in Deutschland noch immer verankert ist.